Text / Interview/ Videos


Unter folgendem Link findet man einen 

Taz Artikel 2020

von den CUTS und der Ausstellung im Kunstverein Neukölln.

 

 

Fenster in etwas anderes – Hans Kaiser und Birgit Hölmer

 

 

Schön früh hegte Hans Kaiser den Wunsch, „dass meine Bilder Fenster sein sollten, durch die man in etwas anderes hineinsah.“[1] Kaiser hat nicht nur seine Bilder als Fenster aufgefasst, sondern fast folgerichtig auch Bilder geschaffen, die direkt Fenster sind.  Von ihm entworfene farbige Kirchenfenster befinden sich in St. Patrokli und in der Johanneskirche in Soest und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen – darunter allein 34 Fenster und 10 Rosetten in der Kapelle im Mutterhaus der Vincentinerinnen in Paderborn – sowie in den USA in der Washington Cathedral.

Durch farbiges Fensterglas kann man zwar nicht schauen, aber das Licht dringt hindurch, durch ein gemaltes Bild nicht. Das hat der Maler Maurice Denis 1890 programmatisch kundgetan: „..man erinnere sich, dass ein Gemälde, bevor es ein Schlachtross, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote ist – wesentlich eine plane, von Farben in einer bestimmten Anordnung bedeckte Oberfläche ist.“[2]

Diese Aussage trifft auf fast alle gemalten Bilder zu, so auch die von Hans Kaiser, zu denen seine Entwürfe für Kirchenfenster gehören, die er stets im Maßstab 1:1 auf Karton ausgeführt hat. Zu diesen gehört der große Entwurf für das Eucharistiefenster in der Krypta von St. Patrokli, der sich in der ständigen Sammlung des Museums Wilhelm Morgner befindet. In der Ausstellung sind die bisher nie öffentlich gezeigten Entwürfe für zwei Rundfenster in der Seitenkrypta von St. Patrokli zu sehen. Sie sind von einer leuchtenden und gleichzeitig dunkel gebrochenen Farbigkeit, die die Leuchtkraft der Fenster mit malerischen Mitteln evoziert. Die Farbpalette und die facettenartige Aufsplitterung des Bildfeldes durch schwarze Linien zwischen den  Farbflächen erinnern an den französischen Maler Alfred Manessier (1911-1993), dessen Werk zu den wesentlichen künstlerischen Einflüssen auf Hans Kaiser gehört. Neben seinem bildnerischen Werk gestaltete Manessier 27 Zyklen von Kirchenfenstern in ganz Europa, unter anderem in der Liebfrauenkirche in Bremen.[3]

Auch die Werke von Birgit Hölmer, die denen von Hans Kaiser gegenübergestellt sind, sind „Fenster“, aber die Scheiben werden auch zu Oberflächen, die in bestimmten Anordnung bedeckt werden. Aber womit? Birgit Hölmer arbeitet nicht mit Pinsel  oder Stift und Farbe. Ihr Material sind schmale, unterschiedlich farbig bedruckte Streifen, die beim Zurechtschneiden von Klebebilderbögen abfallen. In einer Druckerei, in der solche Sticker auf großen Bögen ausgeprintet werden, holt sie diese Abschnitte, die sonst im Abfall landen würden, regelmäßig ab und füllt mit ihnen die Ladefläche ihres Autos. So hat sie ihr Material stets parat, wenn sie sich als motorisierte Flaneurin auf die Suche nach geeigneten Orten für neue CUTS, wie sie diese in der Regel ohne Auftrag entstehenden Werke nennt, begibt. Es handelt sich um vielfältige, aus den selbstklebenden Streifen gebildete Kompositionen, mit denen sie die Scheiben von leerstehenden Gebäuden oder Geschäften versieht und die von großer Variationsbreite sind. Häufig stehen kreisförmige Strukturen im Mittelpunkt, wobei oft ein Loch in der Mitte eine Beschädigung der Scheibe suggeriert.

Dies gilt etwa für den CUT, den sie an der inneren gläsernen Tür des Wilhelm-Morgner-Museums platziert hat, und der eine bewusste Korrespondenz zu den runden Tondi der Fensterentwürfe herstellt.  Häufig finden sich auch rechteckige Gebilde, die sich aus eng nebeneinanderliegenden geraden Streifen ergeben. Während manche Formationen als reine Abstraktionen erscheinen, erinnern andere an Spinnen- oder andere Netze oder an Vorhänge. Oft konzentriert sich der CUT auf eine große, mehr oder weniger komplexe Einzelform, manchmal verteilen sich auch kleinere Elemente über die Scheibe. Dies gilt beispielsweise für den CUT, den sie schräg gegenüber vom Eingang des Wilhelm-Morgner-Museums in den Fenstern der ehemaligen Gaststätte Anno 1888 platziert hat. Die Suggestion, dass die Formen schweben oder fliegen, entsteht bei fast allen CUTS, wie auch der Eindruck des Transitorischen und Flüchtigen.

Auch wenn sie bis ins Detail sehr ausgeklügelt wirken, entstehen die CUTS ohne vorbereitende Skizzen. Bei der Konzeption des Motivs geht Birgit Hölmer von der Größe des jeweiligen Fensters aus. Mitunter geht in die formale Konzeption ein, was sich in dem durch das Fenster sichtbaren Innenraum befindet, wie bei Blick durch den CUT am Eingang des Museums auf die Tondi von Hans Kaiser.

Der zweite der außerhalb des Museums angebrachte Cuts in Soest befindet sich im Fenster der ehemaligen Verkaufsstelle im Haus Haverland, des Stammhauses der gleichnamigen Pumpernickelbäckerei. Hier stellt der CUT eine direkte  Korrespondenz mit einem Werk Hans Kaisers her, der für die schmale Wand rechts vom Eingang 1958 ein Mosaik aus Opakglas entwarf, das – als Symbol für das Bäckerhandwerk – auf der abstrahierten Form einer Getreideähre basiert. Die vielen schmalen länglichen Formen boten sich für einen Dialog mit Birgit Hölmers Streifen geradezu an,  auch die von Hans Kaiser gewählte Farbgebung, Rot kontrastierend mit Schwarz und Weiß, flankiert von kleineren blauen, gelben und grünen Partien, wird in Hölmers Komposition aufgenommen, die in der Vielfalt der einzelnen Formen auch Elemente enthält, die in ihrem Werk hier das erste Mal auftauchen.

Nie greift die Künstlerin selbst, nachdem sie den CUT einmal aufgebracht hat, noch einmal ein. „Eingreifen“ ist auch etwas, das gar nicht in das Konzept der CUTS passt. So hat Birgit Hölmer die Anfrage einer Ladenbesitzerin in Berlin-Kreuzberg abschlägig beantwortet, die ihre durch Krawalle auf einer 1. Mai-Demonstration beschädigten Fensterscheiben so lassen und mit CUTS versehen lassen wollte. Die künstlerische „Reparatur“ einer Beschädigung durch Vandalismus wäre eine Form der Dekoration, bei der das subtile Spiel zwischen scheinbar Beschädigung und subtiler Formfindung verloren ginge, das die CUTS grundsätzlich auszeichnet. Vor allem jedoch läge darin die ästhetische Abmilderung einer gewalttätigen Geste, hinter der wahrscheinlich nicht nur bloßer Vandalismus, sondern auch eine Kritik an der immer massiveren Gentrifizierung in den zentralen Stadtteilen Berlins stand. Eine solche Geste künstlerisch zu „kaschieren“, würde die in Birgit Hölmers CUTS auch implizit enthaltene subtile Kritik an der Gentrifizierung unterhöhlen.

Die CUTS nisten sich in Berlin gleichsam in den Nischen ein, die es meist nur temporär in einer Stadt gibt, deren Immobilienbestand immer mehr durch das Agieren von Großinvestoren bestimmt ist. Die Orte, an denen Künstler leben und arbeiten können, gehen zunehmend verloren oder werden für sie unbezahlbar. So führt Birgit Hölmers Kunst, die quasi aus einem mobilen Atelier heraus im öffentlichen Raum entsteht, letztlich mit rein ästhetischen Mitteln vor, was in Zukunft vielleicht für viele Künstler noch die einzige Arbeitsmöglichkeit sein könnte: sich ohne Atelier und ohne Auftrag Orte anzueignen, an denen man sie überhaupt noch Kunst machen lässt.

Für den Verweis darauf ist es gar nicht nötig, dass die Kompositionen selbst eine soziale oder politische Aussage enthalten. Ihre Schönheit und Vielfalt können sich in ihrer ästhetischen Autonomie frei entfalten und behaupten und in diesem Falle In Korrespondenz mit Hans Kaiser treten, so dass die Werke beider Künstler zu Fenstern in etwas anderes werden.

 

                                                                                                                     

 Ludwig Seyfarth



[1]Zit. nach: Bärbel Coppicus-Wex, Hans Kaiser. Kunst und Architektur. Ein Kunstführer, Dortmund 2014, S.

[2] Définition du Néo-traditionalisme, in: Revue Art et Critique, 30.August 1890. Deutsche Übersetzung zit. nach: Werner Hofmann, Die Moderne im Rückspiegel. Hauptwege der Kunstgeschichte, München 1998, S. 26.

 

[3]siehe wie Anm. 1, S. 9. 

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Die letzten 3 Jahre habe ich Interventionen im urbanen Raum an Schaufenstern von leerstehenden Ladenlokalen in Berlin vorgenommmen. Für die zeichnerischen raumbezogenen CUTS werden Klebestreifenreste von einer Druckerei seriell spielerisch in abstrakte Formen gebracht. Die Interventionen im Stadtraum finden unangekündigt statt.

Es gibt ein Interview zu lesen mit vielen Fotos unter dem link:

http://yourartbeat.net/de/2017/11/20/streifen-auf-der-fensterscheibe/Video while 

 

 


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the residency Berlin-Gibraltar-Exchange 2017

 

 

 Publikation unter:

http://lichtenberg-studios.de/2018/03/birgit-hoelmer-berlin/

 

 

 

 

 

 

 

http://www.gbc.gi/news/exchange-programme-berlin-artists-reacts-gibraltars-spaces 


THE CUTS

For the past two years Birgit Hölmer site-specific interventions have been taking place in empty shop windows in Berlin. The artist creates the ephemeral artworks using leftover sticky strips sourced from printing shops, which would normally be thrown away. She composes the strips into sublime abstract forms on the outside of the abandoned shop windows normally without asking for permission. Moreover, her methodology in the “Cuts” series implies a critique on the wave of gentrification many areas of Berlin are currently experiencing.

Birgit Hölmer’s interventions are of great variation; circular structures are in focus, often with a hole in the centre, suggesting fractures on the glass window. However, there are also elegant geometric rectangular structures, which are made of closely spaced straight stripes.

The CUTS on the outside of empty shop windows are a kind of urban version of the „plain air“ forest drawings Hölmer has been working on in the surroundings of Berlin for nearly a decade. These drawings were the starting point for an artistic dialogue and implementation using building material such as acrylic and silicone. Later on, Hölmer worked with a silicone dye mixture directly in the forest, she used a black gauze curtain, not only as a support, but with the idea that the material should have a direct connection to the subject by soaking through the fabric. The silicone was squeezed through the black transparent gauze with her fingers creating structures which are similar to that of plants. The backside of the gauze becoming the front of the work.

The same procedure, using a silicone dye mixture, was also employed to create the carpet works. Original carpets were traced through the gauze with the black gauze retaining a transparent appearance resulting in a space expanding screen.

During the residency at Lichtenberg Studios in 2012, Hölmer developed an exhibition in the Stasi (GDR Secret Police) Museum exhibiting a series of carpets made from found political photographs in the Stasi archives.

Front and back views play also an important role in artworks such as a the permanent public light installation artwork in Bergkamen (Germany) or the work „Soap Piece for a Kitchen“.

Birgit Hölmer
Translation Francis Gomila




Text Ludwig Seyfarth
25. 04.17

Birgit Hölmers CUTS, die seit einiger Zeit immer wieder in – meist Berliner –Fensterscheiben zu sehen sind, entstehen fast immer ohne Auftrag. Die Künstlerin sucht selbst nach leerstehenden Erdgeschoßräumen, deren Scheiben sie nutzen kann, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen.
Die Verbindung des zerbrechlichen Materials  Glas mit dem Begriff CUT kann zunächst vermuten lassen, dass die Künstlerin Schnitte im Glas vornimmt, was von weitem und auf den ersten Blick auch so aussehen mag. Die geraden oder gekrümmten, fast wie Schraffuren parallel geführten Linien befinden sich jedoch nicht in, sondern befinden sich auf der Scheibe, sie selbst bleibt – zumindest durch Birgit Hölmers Intervention – unversehrt. 
Die Künstlerin setzt eine Technik ein, die sich kaum in traditionelle Kategorien wie Zeichnung, Malerei oder Collage einordnen lässt. Die CUTS entstehen durch das Aufkleben schmaler, unterschiedlich farbiger Randstreifen, die bei der Herstellung von Klebestickern abfallen, die sie bei Kindern und Erwachsenen großer Beliebtheit erfreuen. 
In einer Druckerei, in der solche Sticker auf großen Bögen ausgeprintet werden, holt Birgit Hölmer die Abschnitte, die beim zurechtschneiden der Bögen entstehen und die sonst im Abfall landen oder vielleicht recycelt werden würden, regelmäßig ab und füllt mit ihnen die Ladefläche ihres Autos. So hat sie ihr Material stets parat, wenn sie sich als motorisierte Flaneurin auf die Suche nach geeigneten Orten für neue CUTS begibt.
Was Birgit Hölmer auf die Fenster klebt, ist von großer Variationsbreite. Häufig stehen kreisförmige Strukturen im Mittelpunkt, wobei oft ein Loch in der Mitte eine Beschädigung der Scheibe suggeriert. Immer wieder finden sich jedoch auch rechteckige Gebilde, die sich aus eng nebeneinanderliegenden geraden Streifen ergeben. Während manche Formationen als reine Abstraktionen erscheinen, erinnern andere an Spinnen- oder andere Netze oder an Vorhänge. Oft konzentriert sich der CUT auf eine große, mehr oder weniger komplexe Einzelform, manchmal verteilen sich auch kleinere Elemente über die Scheibe. 
Streng geometrisch angelegten Formen stehen weichere, organoide Strukturen  gegenüber, die Assoziationen an mikroskopische Lebewesen, Blüten und Blätter oder an Vogelflügel wecken können. Die Suggestion, dass die Formen schweben oder fliegen, entsteht bei fast allen CUTS, wie auch der Eindruck des Transitorischen und Flüchtigen. 
Die sich von der Transparenz des Glases abhebenden Silhouetten erzeugen eine starke flächige Wirkung, gleichzeitig  wird immer wieder eine gewisse räumliche Tiefe suggeriert. Dabei erinnern viele der Gebilde auch an digital generierte 3D-Grafiken, die in einem virtuellen Raum schweben und sich um die eigene Achse drehen. Die Glasscheibe wird dann zu einem imaginären Bildschirm. 
Auch wenn sie bis ins Detail sehr ausgeklügelt wirken, entstehen die CUTS ohne vorbereitende Skizzen. Bei der Konzeption des Motivs geht Birgit Hölmer von der Größe des jeweiligen Fensters aus. Mitunter geht in die formale Konzeption ein, was sich in dem durch das Fenster sichtbaren Innenraum befindet.
Manchmal arbeitet Birgit Hölmer dann doch mit dezidierten  Auftrag, so für eine Ausstellung 2016 in der Bar Babette in der Karl-Marx-Allee in Berlin, deren große Fensterflächen sie mit ihren bisher größten CUTS füllte. Als „Dauerinstallation“ befindet sich immer noch ein CUT an der Eingangstür der Bar, der jedoch von Zeit zu Zeit durch ein neues Motiv ersetzt wird.
Bei den ohne Auftrag angebrachten CUTS geschieht so etwas nie. Sie werden dem Lauf der Zeit oder der Dinge überlassen, bleichen durch das Sonnenlicht aus, werden manchmal beschädigt, bei der Neunutzung der Räume entfernt oder durch den Abriss des Gebäudes mit zerstört. Die Künstlerin selbst greift jedoch, nachdem sie den CUT einmal aufgebracht hat, nicht mehr ein.
„Eingreifen“ ist auch etwas, das gar nicht in das Konzept der CUTS passt. So hat Birgit Hölmer die Anfrage einer Ladenbesitzerin abschlägig beantwortet, die ihre durch Autonome beschädigten Fensterscheiben mit CUTS versehen lassen wollte. Die künstlerische „Reparatur“ einer Beschädigung durch Vandalismus wäre eine Form der Dekoration, bei der das subtile Spiel zwischen scheinbar Beschädigung und subtiler Formfindung verloren ginge. Eine ästhetische Abmilderung einer gewalttätigen Geste, die sich vor allem als Kritik an der immer massiveren Gentrifizierung in den zentralen Stadtteilen Berlins versteht, würde zudem die subtile Kritik an der Gentrifizierung unterhöhlen, die in Birgit Hölmers CUTS implizit enthalten ist. Diese nisten sich gleichsam in den Nischen ein, die es meist nur temporär in einer Stadt gibt, deren Immobilienbestand immer mehr durch das Agieren von Großinvestoren bestimmt ist. Die Orte, an denen Künstler leben und arbeiten können, gehen zunehmend verloren oder werden für sie unbezahlbar. So führt Birgit Hölmers Kunst, die quasi aus einem mobilen Atelier heraus im öffentlichen Raum entsteht, letztlich mit rein ästhetischen Mitteln vor, was in Zukunft vielleicht für viele Künstler noch die einzige Arbeitsmöglichkeit sein könnte: sich ohne Atelier und ohne Auftrag Orte anzueignen, an denen man sie überhaupt noch Kunst machen lässt. 
So finden sich viele indexikalische Verweise auf den urbanen Kontext, in dem Birgit Hölmers CUTS entstehen. Dazu ist es gar nicht nötig, dass die Kompositionen selbst eine soziale oder politische Aussage enthalten. Ihre Schönheit und Vielfalt können sich in ihrer ästhetischen Autonomie frei entfalten und behaupten.







Birgit Hölmer | heavy forest
Eröffnungsrede von Friederike Fast, MARTa Herford 

Die Ausstellung „heavy forest“ mit Arbeiten der Berliner Künstlerin Birgit Hölmer zeigt mehrere kleinformatige und eine großformatige Arbeit, die Waldmotive darstellen.
Die deutsche Kulturgeschichte ist – wie keine andere – eng mit dem Wald verknüpft. Nicht nur in Heldensagen und Märchen begegnet uns das Waldmotiv, vor allem in der Kunst und Literatur der Romantik aber auch in der Ideologie der Nationalsozialisten spielt der Wald eine wichtige Rolle. Dabei wird das Waldmotiv von verschiedenen Vorstellungen begleitet: Diente der Wald dem Menschen in der Vergangenheit als Nahrungs- und Rohstoffquelle (Früchte, Kräuter, Waldtiere, Brennholz, Baumaterial), war er zugleich ein Ort der Gefahr vor wilden Tieren und Räubern oder Ort der Verbannung. Erst durch die zunehmende Erschließung und Kultivierung wurde der Wald zu einem kontrollierten Raum. Als strukturierter Forst mit Wanderwegen, Bänken, Wegweisern und verkehrstechnisch gut angebunden fungiert er heute vor allem als Erholungsgebiet. 

In den Arbeiten von Birgit Hölmer begegnet uns aber kein befriedeter, kultivierter Wald – bis auf kleinere Wegschneisen fehlen alle Hinweise auf eine Infrastruktur – und den Menschen vermissen wir ganz. Der „heavy forest“ von Birgit Hölmer ist düster, geheimnisvoll, wenn nicht sogar bedrohlich. Manches Mal scheinen sich in den Schatten und Schemen geisterhafte Fratzen zu verstecken, und man meint fast, in den dichten und dunklen Strukturen der Linien hängen zu bleiben. Hölmer beschwört mit ihren Arbeiten einen lange schon nicht mehr existenten Urwald oder eine unheimliche Märchenwelt aus unseren Kindertagen herauf. Wir fühlen uns mit der alten Frage der Hilflosigkeit des Menschen gegenüber der übermächtigen Natur konfrontiert, und wir erkennen uns in den Arbeiten als Prothesengötter wieder, die dazu genötigt sind, eine 2. Natur – eine Kultur – zu erschaffen, die uns Schutz und Halt in der ungastlichen Welt gibt. 

Für die großformatige Arbeit im Fenster hat sie ein Motiv der kleinformatigen Grafiken auf einen semitransparenten Gaze-Stoff übertragen, indem sie von der Rückseite mit Hilfe eine Spritzpistole schwarze Acrylfarbe aufgetragen hat, so dass sie die Vorderseite durchdringt und sich dort als reliefartige Struktur absetzt. Bei den großen Arbeiten scheint das Wald-Motiv geradezu aus dem Stoff „herauszuwachsen“. Ähnlich wie ein Teppich-Knüpfer überträgt sie das die gerippeartige Struktur des Motivs auf ein anderes Material, das es ermöglicht, das Motiv – fast wie ein dreidimensionales Objekt – von verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Spannend ist auch die Veränderung der Arbeit, die durch verschiedene Lichteinstrahlung hervorgerufen werden kann. Es ist faszinierend, wie obsessiv sich Birgit Hölmer an einem Motiv oder einem Material, das sie einmal gefunden hat – ich möchte fast sagen – „abarbeitet“. So hat sie in früheren Arbeiten zum Beispiel über einen längeren Zeitraum das Material Seife auf ganz verschiedene Weise bearbeitet. 

Wenn Birgit Hölmer auch einige Jahre in Bielefeld am Teutoburger Wald lebte, so hat sie nicht während dieser Zeit das Waldmotiv für ihre Arbeit entdeckt, wie man vielleicht denken würde, sondern sie hat erst in Berlin dazu gefunden. Zwar mag auch die Sehnsucht zur Natur sie dazu bewegt haben, sich in den Wald zu begeben, aber wir können das Waldmotiv auch als Psychogramm unserer Gesellschaft lesen – ganz in der Tradition der romantischen Landschaftsdarstellung eines Caspar David Friedrich. Als eine „mentale Landschaft“ steht der Wald bei Hölmer für Einsamkeit und Hilflosigkeit gegenüber unübersichtlichen Strukturen. Gerade in einer Metropole wie Berlin zählen Einsamkeit und Verwirrung zur grundlegenden Alltagserfahrung. 

Während es dem Betrachter bei den lebendigen und sehr präzisen Zeichnungen und Radierungen aufgrund des kleinen Formates leichter fallen mag, die Motive zu erfassen, wird die Struktur in der großen Arbeit aus näherer Betrachtung beinah abstrakt und man droht sich darin zu verlieren. Wenn Sie nun Sorge haben, dass Sie zu tief in den Wald hineingeraten könnten, bin ich sicher, dass die Künstlerin Sie sehr gerne auf diesem Weg in den Wald hinein begleitet... 





Getarnter Wald
Interview mit Birgit Hölmer am 17.2.07  Fragen J. K.

Du bist in den Wald zum Zeichnen gefahren, nach einer Serie von Zeichnungen nach Vorgärten und einer Reihe von Blättern im Botanischen Garten; worin lag der Grund zum Wechsel in den Wald?

Im  Wald ist es weniger vorhersehbar, was ich für ein Motiv zum Zeichnen finde. Die Neugier ist Auslöser einerseits, aber auch die chaotischen Pflanzenstrukturen, die tiefen Waldschneisen und der Kiefernwald, Licht und Schatten, die scheinbare Unendlichkeit, die ich ja nur im Ausschnitt von einem bestimmten Standpunkt festhalten kann … die meinem inneren Bild von Landschaft mehr entsprechen. Außerdem bin ich die meiste Zeit allein im Wald. Das war eine ziemliche Überwindung das erste Mal, doch auch wie ein Sog. Es reizt mich einerseits, die Angst zu überwinden, alleine im Wald zu sein, aber auch wirklich meine Ruhe zu haben. Nur beim Zeichnen im Wald konnte ich meinen Tinnitus vergessen.

Wie lange dauert eine Zeichnung etwa?

Das kann ich gar nicht genau sagen, weil ich mich so weg beame, wenn ich zeichne. Zeit ist dann relativ. Ich merke erst, wenn mein Rücken schmerzt, oder mir kalt ist, dass wohl so einige Zeit vergangen ist. Mit Anfahrt und Rückfahrt bin ich meistens so 5/6 Stunden unterwegs.

War es leicht, sich für die Motive zu entscheiden?

Das fällt mir gar nicht leicht. Das dauert manchmal fast so lange wie die Zeichnung. Ich bin auch schon ohne ein Motiv gefunden zu haben wieder nach Berlin zurückgefahren. Als ich allerdings zum ersten Mal am Müggelsee war, hat mich die „Moorlandschaft“ so begeistert, dass ich ganz schnell wusste, was ich zeichnen wollte. Doch beim zweiten und dritten Mal wird es schwieriger ein Motiv zu finden, da die Motive schon abgearbeitet sind , d.h. sie sind nicht mehr neu für mich und die Begeisterung lässt nach. Trotzdem fahre ich in zeitlichen Abständen immer wieder dort hin. Die Jahreszeit ändert sich ja auch und alles sieht völlig anders aus.

Warst Du immer allein, ist jemand vorbei gekommen?

Die meiste Zeit bin ich alleine, denn ich entferne mich von den Wegen und schlage mich durch das Gebüsch, weil ich gerne mitten im Wald oder direkt am Ufer sitze. Dann sehe ich die Spaziergänger meistens nur von einiger Entfernung. Ganz selten hat mich jemand angesprochen, ich selbst bin ja durch das Gebüsch getarnt. 

Parallel zu den Zeichnungen entstanden die großen Acryl-Gardinen-Objekte unter  Verwendung der Zeichnungsmotive; könntest Du kurz erklären, wie der technische Arbeitsvorgang bei den Acryl-Gardinen-Objekten abläuft?

Die Originalzeichnungen werden auf eine Folie kopiert, um sie dann auf eine im Atelier gespannte Gaze zu projizieren. Hinter der Gaze stehend, kann ich die Rückprojektion mit einer Kartuschenpistole/ Kompressor  nachzeichnen.  Das schwarze Acryl durchdringt die Gaze. Ich stehe praktisch auf der Rückseite und arbeite fast blind was die Vorderseite betrifft.

Ist das Zeichnen Ziel oder Ausgangspunkt Deines Interesses, und wie verhält es sich zum Naturerlebnis?

Das ist schwer zu beantworten. Das Erleben im Wald wirkt nach und weckt in mir Sehnsüchte, doch wieder in das Waldgebiet zu fahren. Das Gefühl die Zeit zu vergessen, beim Zeichnen in der Natur, ist ausschlaggebend. Der Arbeitsprozess in der Natur ist bei der Zeichnung zunächst Ziel, d.h. die Standpunktwahl und die Suche nach der richtigen Umgebung. Doch später werden diese Zeichnungen Ausgangspunkt  für die großen Objekte. Vielleicht, weil ich wieder umgeben sein will vom Wald. Bei den Radierungen ist es noch mal anders, da gibt es so eine Art Wiederholung durch die Konzentration auf das Bild.

Verstärkt oder ergibt sich das Naturerlebnis aus dem Zeichnen, der Motorik und Hingabe an Form und Gewirr?

Das Naturerlebnis verstärkt sich. Durch das direkte Medium Zeichnen überträgt sich das Gesehene wie ein Psychogramm direkt auf das Blatt. 
Ich bin dann glücklich und erschöpft, als wäre ich durch den Wald gejoggt.


Hast Du den Wunsch an die Orte der Zeichnungen zurückzukehren?

Ja, ich fahre oft in das gleiche Waldgebiet, weil ich dort weitere Motive vermute, und weil ich die Stimmung dort liebe. Aber ich zeichne nicht dasselbe Motiv noch einmal.

Es gibt inzwischen auch Radierungen mit Waldmotiven, wo lag der Impuls mit dem Radieren anzufangen?

Die prozesshaften Radierungen von Rembrandt im Kulturforum haben mich so begeistert, da dort Dunkelheiten eine sehr große Rolle spielen. Diese samtene Schwärze reizt mich sehr, die durch die Kaltnadel zu erzielen ist. Radierung bedeutet für mich Verdichtung zum Bild durch mehrmaliges Verändern und Zwischendrucken, Materialwiderstand bei der Kaltnadel, genaues Hinsehen, prozesshaftes Arbeiten, während ich bei den Acrylwäldern nahezu blind und die meiste Zeit mechanisch zeichne.

Im Verhältnis zu den großen Objekten, vor denen man „wie im Wald“ steht, scheinen die Radierungen eine traditionelle Bildform zu akzeptieren; ist Dir die Frage der Modernität der Form wichtig?

Wer möchte schon gerne unmodern sein? Doch überraschender Weise stelle ich gerade fest, dass traditionelle Medien für mich genauso aktuell sein können. Auf den Inhalt und die Form kommt es ja an.  Doch wenn ich ehrlich bin, bei einer Präsentation wird es noch mal zu sehen sein, welche Reaktionen von außen kommen. Da muss ich wohl durch.
  
Schwarzes Acryl, Kohle, Radierfarbe - das Faktische des Materials – Themaoder Mittel?

Mittel und Thema. Das Mittel spezifiziert den Inhalt/Thema Wald. Oder doch umgekehrt? Das geht aber nicht nach der Ratio, ist also nicht analog sondern eher intuitiv.

Der Wald verhindert ja auch Aktualität, man kann höchstens noch die Jahreszeit erkennen, und ist erstmal in einem un-ironischen existentiellen Schwarz-weiß gefangen, komme ich als Betrachter wieder heraus oder soll ich drinbleiben?

Im Moment gefällt es mir im schwarz-weißen Wald ganz gut. Ich kann noch sehr viel ausprobieren. Vielleicht ist der Rückzug ja auch aktuelles Stimmungsbarometer. Für Dich gibt es auch nach längerem Hinsehen Horizonte und Wege, die dem Wald Tiefe geben, aber auch aus ihm hinausführen.

Zurück zu dem Verfahren bei den Silikon-Gardinen-Objekten; die dafür entwickelte Technik steht bei Dir ja ineiner längeren Reihe von Arbeiten, der Brunnen zum Beispiel, bei dem von "hinten" Bilder auf Wasser projiziert werden; ist das Verfahren nicht an sich schon "Werk" ? oder doch eher Mittel zum Zweck?

Das Verfahren ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Waldarbeiten. Es hat sich langsam entwickelt. Zuerst habe ich im Wald direkt durch die Gaze geschaut und durchgezeichnet, was ich gesehen habe. Dabei hat das Zeichenmaterial den Stoff zum Motiv hin durchdrungen. Ich war besessen von der Vorstellung, dass der Gardinenstoff nicht nur Bildträger, sondern wirklich durchlässig ist und eine direkte Verbindung zum Motiv besteht. Doch dieses mechanische Durchpausen stand im Widerspruch zu dem direkten Erleben und Umgebensein von Natur. So habe ich mich dafür entschieden, von diesem Konzept etwas abzuweichen und zunächst im Wald frei skizzenhaft zu zeichnen und anschließend die Zeichnung mittels Projektion auf die große Gaze von der Rückseite aus zu übertragen. Der Betrachter sieht das Motiv dann seitenrichtig.Bei dem Brunnen war es zunächst funktional, da man die Dias viel besser von der durchprojizierten Seite aus und nicht von der Frontalprojektion sieht. Das Prinzip hat mir dann gefallen.

Ein weiterer formaler Aspekt der Objekte ist die Nähe bzw. die behauptete Differenz zu Methoden der Malerei; Projektion ja, Vorstudie ja, aber dann Arbeiten "durch" den Stoff, Gardine statt Leinwand, Silikon statt schwarzer Farbe; dies könnte man in eine Traditionslinie stellen, die man mit. Cindy Sherman („fotografierte Gemälde“) Leni Hoffmann („Farbe Plastilin“) oder auch Katharina Fritsch (Skulpturen aus Bildminiaturen)  beschreiben könnte --  siehst Du das auch so? (Differenz als bewusste Nichtbesetzung/Verweigerung der männlich tradierten Verfahren?)

Ja, kann sein, dass es da eine Tradition gibt, ich komme ja aus einer Konzeptkunstklasse und nicht von der Malerei. Übrigens war das ein Künstler. Aber auf Deine Weise betrachtet ist nur die Form von Bedeutung. Das trifft nicht den Kern meiner Arbeit, ich wehre mich gegen Schablonen.  Ich glaube nicht, dass das Brechen von tradierten Formen geschlechtsspezifisch ist.  Wie wir sehen, ist alles tradiert und deshalb auch wieder ohne Bedeutung.

Der Wald ist als unmittelbar emotionale Situation ein inselhaftes Thema, so wie „Alleinsein“; doch ist dabei gleichzeitig die Stadt im Rücken, und dazu kommt der konkrete Raum, in dem dann das Objekt, die Zeichnung oder Radierung hängt; wie siehst  Du das Verhältnis dieser beiden Situationen?

Ich glaube mit der Stadt im Rücken ist es für mich zunehmend einfacher gewesen, das klassische Landschaftsgenre zum Thema zu machen. Die Stoffarbeiten erinnern im Raum an Tapeten, Raumteiler, Tapisserien. Sie wirken leicht, wie Gardinen, sind jedoch mit Ihren 20 kg durch das schwarze Acryl sehr schwer. Auch Ihre Größe sprengt manchen Raum.

Wald ist ja immer auch ein wenig Märchen, Hänsel und Gretel, und möglicher Horror – geht es auch darum?

Es geht auch darum, die Angst zu bewältigen und da schleichen sich figurative Formen ein, die sich aus dem Wurzelgehölz ergeben. Diese werden neuerdings in den Kohlezeichnungen ausgebaut.

Mir scheint es immer stärker um Ausdruck als um Klärung des Bildraums zu gehen, andererseits entstehen, sieht man sich die Motive längere Zeit an, nach dem ersten starken Eindruck des puren Wuchernden, auch räumliche Illusionen im Bildraum, und auch Wege aus dem Motiv heraus. Interessant finde ich auch eine angelegte Tiefe nach oben und unten hin, als Tümpel zum Beispiel --d.h. der erste starke Eindruck ist emotional wuchernd, dann folgt nach einiger Zeit, während der man sich als Betrachter vielleicht mit der Technik beschäftigt hat, auch eine Klärung des motivischen Tiefenraums - geht Dir das auch so?

Da ist dieses Fokussieren auf nah und fern, was ich interessant finde. Von nahem sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Von weitem klärt sich das Motiv. Zuerst sind da ja die kleinformatigen Zeichnungen, wo man den Bildaufbau sehr gut sieht. Ich achte beim Zeichnen schon auf räumliche Strukturen. Auch die Motivwahl dauert ja sehr lange, da habe ich emotionale Entsprechungen, aber auch die zeichnerische Umsetzung im Kopf. Aber, da hast Du Recht, ich konstruiere keinen Bildraum. Ich brauche schon eine Vorlage von außen. Bei den großen Waldobjekten muss ich mir aufgrund der Vorlage keine Gedanken über den Bildaufbau machen, höchstens bei der Auswahl der Zeichnungen. Das gefällt mir gut. Eine funktionale Umsetzung.

 










































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